Einleitung:

Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte mich kurz vorzustellen bevor ich meinen Beitrag zu diesem Gedenkkonzert vorlese.

Ich heiße Pavel Hoffmann und bin vermutlich der einzige Holocaustüberlebender in Reutlingen.

Ich wurde bereits mit 2 Jahren auf der Liste der Bewohner des Protektorat Böhmen und Mähren die zu der Sonderbehandlung bestimmt waren aufgeführt. Ich hatte viel Glück von 15.000 jüdischen Kinder, die damals in Prag wohnten kamen wir 28 zurück. Seit 30 Jahren werde ich eingeladen von Schulen und Vereinen um meinen Beitrag zum nie wieder vorzutragen. Der Judenhass ist leider nicht kleiner geworden deshalb rede ich seit einiger Zeit mehr über das heute als über mich und mein Schicksal selbst. Hier am heutigen Tag habe ich nicht so viel Zeit um Alles was ich in meinen Zeitzeugen Gesprächen erzähle zu sagen. Deshalb habe ich beschlossen einen Text den Sie sich falls Sie es interessiert mitnehmen können damit Sie erfahren was denkt und erlebt ein Holocaustüberlebender heute.

 

Rede:

Gedenktag für die Erinnerung auf die Reichkristallnacht am 9.November 1938.

Meine Damen und Herren,

wie jedes Jahr treffen sich die Menschen um den Anfang der Vernichtung des jüdischen Vol-kes in Europa zu gedenken. Die Vorstellungskraft eines Menschen für die Sinnlosigkeit und Monstrosität dessen was nach dem 9.November vor 84 Jahren im ganzen Ausmaß gesche-hen ist, reicht nicht aus. Nur an einzelnem Schicksal kann man die Leiden und das Grauen begreifen und nachvollziehen. Deshalb, erlauben Sie mir, stellvertretend für die mehr als 6 Mil. Opfer das Schicksal einer wunderbaren und feinfühligen Frau und Mutter Ilse Weber, die in der gleichen Zeit wie ich als Häftling nach Theresienstadt deportiert wurde, kurz zu schil-dern. Ilse Weber lebte als deutschsprachige Jüdin in damaliger Tschechoslowakei in Mäh-risch Ostrau mit Ihrem Mann Willi Weber und zwei kleinen Söhnen Hans und Thomas, zu-sammen mit den deutschen und tschechischen Nachbarn bis 1938 friedlich und glücklich. Sie war eine bekannte Kinderbuch und Hörspielautorin. Nach dem Einmarsch der deutschen Armee musste sie mit ihrer Familie genau so wie meine Großeltern nach Prag flüchten, was sie aber nicht vor der Deportation nach Theresienstadt gerettet hat. Nur Ihren älteren Sohn Hans hat sie rechtzeitig nach Schweden geschickt. Nach Theresienstadt kam sie zusammen mit Ihrem Mann und jüngeren Sohn Tommy. Sie hat sich dort fürsorglich als Krankenschwes-ter um kleine kranke Kinder gekümmert. Sie hat in Theresienstadt für die Mithäftlinge und hauptsächlich für die Kinder, viele Gedichte und Lieder geschrieben und sehr oft mit den Kin-dern ihre Lieder gesungen. Sie hat sich bei der Deportation der Kinder, die sie gepflegt hat freiwillig in den Transport nach Auschwitz gemeldet, damit sie bei den Kindern, die sie ge-pflegt hat bleiben konnte. Ihr Mann Willi Weber, der überlebte, hat vor der Deportation ins Auschwitz ihre Gedichte eingemauert und nach dem Krieg wieder ausgegraben. Ich möchte Ihnen ein Gedicht von den vielen, die sie geschrieben hat hier vorlesen. Anschließend möch-te ich Ihnen auch das Zeugnis eines Freundes der Familie Weber, der auch überlebte und die letzte Stunde von Ilse Weber persönlich miterleben könnte, vorzulesen.

Ilse Weber: Ich wandere durch Theresienstadt

Ich wandre durch Theresienstadt,
das Herz so schwer wie Blei,
bis jäh mein Weg ein Ende hat,
dort knapp an der Bastei

Dort bleib ich auf der Brücke stehn,
und schau ins Tal hinaus;
ich möchte so gern weitergehn
ich möchte so gern nach Haus

Nach haus-du wunderschönes Wort,
du machst das Herz mir schwer
man nahm mir mein Zuhause fort,
nun hab ich keines mehr

Ich wende mich getrübt und matt,
so schwer wird mir dabei,
Theresienstadt, Theresienstadt
-wann wohl das Leid ein Ende hat-
Wann sind wir wieder frei?

Viele Jahre nach Willis Webers Tod hört Hans der ältere Sohn von einem Freund der Fa-milie, dass seines Vaters Wunsch nach einem schnellem Tod für Ilse sich erfüllt hat. Jener Freund aus Ostrau, dem Hans nach vielen Jahren unerwartet bei einem Besuch in Deutschland begegnet, offenbart ihm in einem Gespräch:

Ich war mit Deinen Eltern in Theresienstadt zusammen, doch ich wurde mit einem früheren Transport als dein Vater nach Auschwitz deportiert. Im Herbst 1945 kam ich zurück nach Prag, und einer der ersten Menschen, die ich traf war Willi. Er fragte mich ob ich nicht Ilse und Tommy gesehen hätte. Meine Antwort war nein, und dieses nein habe ich jeden Tag bis heute bedauert. Als wir nach Auschwitz kamen, wurden die meisten meiner Mitgefangenen aus Theresienstadt unmittelbar nach der Selektion in die Gaskammer geschickt. Ich war ein guter Sportler und hatte noch einige Muskeln, so dass ich in das Leichenträgerkommando, kam. Die furchtbarsten Momente waren die, in denen ich meine alten Freunde wiedererkann-te, die in der Reihe der Wartenden vor der Gaskammer standen. Im Herbst 1944 sah ich ei-ne Gruppe von 15 Kindern aus einem Transport, der gerade angekommen war. Ilse stand mitten unter ihnen und versuchte die Kleinen zu trösten. Neben ihr stand ein Junge, der grö-ßer war als die anderen Kinder. Ich denke, dass dieser größere Junge Tommy war. Uns war unter keinen Umständen erlaubt mit den wartenden Kontakt aufzunehmen, doch da die nächsten Wachposten zufällig ziemlich weit weg standen, ging ich zu Ilse hinüber, die mich sofort erkannte.
„Stimmt es, dass wir duschen dürfen nach der Reise“? fragte sie. Ich wollte nicht lügen und so antwortete ich:“ Nein, das hier ist kein Duschraum, es ist eine Gaskammer, und ich gebe dir jetzt einen Rat. Ich habe euch oft singen hören in der Krankenstube. Geh schnell wie möglich in die Kammer. Setzt dich mit den Kindern auf den Boden und fängt an zu singen. Sing was du immer mit ihnen gesungen hast. So atmet ihr das Gas schneller ein. Sonnst werdet ihr von den anderen zu Tode getreten, wenn Panik ausbricht. Ilses Reaktion war seltsam. Sie lachte irgendwie abwesend, umarmte eines der Kinder und sagte“ also werden wir nicht duschen“.

Ich hoffe inständig, dass das Schicksal der Kinderbuchautorin Ilse Weber dazu beiträgt das die Worte „nie wieder“ Wirklichkeit werden

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit

 

Kontakt

E-Mail: service(@)israelplattform.de

Fon: .+49 (0)7072 – 208812

 

Ansprechpartner in Deutschland
Werner Steinmetz

Ansprechpartnerin in Israel
Mara List Avner

Vielen Dank für Ihr Interesse!

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